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B4BSCHWABEN.de: Herr Dr. Bosch, man sagt Deutschland nach, in Sachen Energietransformation zu langsam zu sein. Wann hätte die Transformation beginnen müssen?
Dr. Stephan Bosch: Wenn es um Ressourcenverbrauch geht, ist es Fakt, dass die Menschheit seit etwa 1980 nicht mehr nachhaltig lebt. Denn seitdem ist unsere Lebens- und Wirtschaftsweise so, dass wir die Grenzen der Tragfähigkeiten überschritten haben. Die ersten Hinweise dazu gab es bereits in den 70er Jahren. Hätte man damals die Wissenschaft ernstgenommen, wäre das der richtige Zeitpunkt gewesen, die Energiewende zu starten.
Wäre Deutschland dazu in den 80ern technologisch aber überhaupt in der Lage gewesen?Das erste solarthermische Kraftwerk wurde 1912 in Ägypten entwickelt. Wir sprechen hier von einer Technologie, die jetzt stark im Kontext von Desertec in Nordafrika ausgebaut wird. Die technische Möglichkeit haben wir also schon seit über 100 Jahren. Öl, Gas und Kohle zu verbrennen war allerdings lange Zeit günstiger und ertragreicher. Es ist immer nur eine Frage der Umsetzung – und der Marktmacht von Unternehmen, die solche Innovationen blockieren können.
In meiner Brust gibt es dazu zwei Seelen. Die eine sagt, wir müssen viel stärker ausbauen, als wir es in den vergangenen 20 Jahren getan haben. Vor allem in Bayern müssen wir die Windenergie wesentlich stärker ausbauen. Das Potential ist nämlich da. Der technologische Fortschritt ist so schnell, dass wir mittlerweile auch mit Schwachwindanlagen in Bayern zurechtkommen und wirtschaftlich arbeiten können. Wir müssen darüber nachdenken, Abstandsflächen generell zu verringern. Die berühmte 10H-Regelung in Bayern ist nach wie vor kontraproduktiv, auch wenn sie im November 2022 für manche Standorte, zum Beispiel Wind-Vorrang- und -Vorbehaltsgebiete, gelockert wurde.
Was sagt Ihre „zweite Seele“?
Sie sagt, dass diese Pläne ein Kurieren am Symptom sind. Denn wir müssten eigentlich unsere Lebens- und Wirtschaftsweise verändern. In der gängigen wissenschaftlichen Literatur wird in erster Linie der Kapitalismus dafür verantwortlich gemacht, dass wir jetzt an die Grenzen des Wachstums kommen. Wir sind zwar in einer demokratischen Gesellschaft – was auch gut ist – aber wir sind auch in einer konsumistischen Gesellschaft. Ich spreche sogar von „Hyperkonsum“. Unsere Lebensstile sind nicht nachhaltig. Wir verbrauchen zu viel und konsumieren zu viel. Das braucht alles Energie. Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, müssen wir in erster Linie nicht die erneuerbaren Energien ausbauen, sondern unsere Lebensweise und -stile überdenken.
Ist das realistisch?In den vergangenen Jahren war ich sehr pessimistisch. Ich war der Meinung, dass die Menschheit dazu nicht in der Lage ist und wir einen Overshoot erleben werden. Aber die neue, junge Generation, macht Mut. Ich habe das Gefühl, diese jungen Menschen haben andere Werte und Normen. Sie verstehen sich mehr als Teil der Natur. Die Generationen davor haben diese Auffassung nicht.
Ein weiteres Problem einer erfolgreichen Energiewende ist auch der Protest der Bevölkerung vor Ort. Ist das auch ein Generationenproblem?
Das denke ich nicht. In erster Linie geht es allen Menschen um bestimmte subjektive Aspekte. Heißt, es geht um die Wahrnehmung etwa von Windkraftanlagen. Diese ist nämlich oft negativ. Das Landschaftsbild verändert sich durch Windkraftanlagen und besonders in Bayern spielt der Tourismus eine große Rolle. Das Landschaftsbild hat somit einen monetären Wert, gerade in der Nähe der Alpen. Auch der Artenschutz kritisiert den Ausbau der Windenergien. Und die Angst davor, dass Immobilien an Wert verlieren, spielt eine Rolle – und das, obwohl es dafür gar keine Belege gibt. Auch Lärmemissionen werden oft kritisiert. Dabei ist das Quaken eines Frosches lauter als der Rotor einer Windkraftanlage.
Das beste Mittel ist, die Menschen vor Ort an diesen Projekten zu beteiligen. Das Stichwort ist da Partizipation. Dies geschieht in Form von Information und Beteiligungen an Entscheidungsprozessen. Aber auch mit Profiten. Dadurch wird es möglich, selbst etwas in der Hand zu haben. Durch Beteiligungen sind dann eben auch monetäre Profite möglich. Man freut sich dann über jedes Tiefdruckgebiet, weil man weiß, dass das eigene Geldsäckchen sich füllt. Das ändert die Wahrnehmung immens.
Wenn wir nun das Große Ganze betrachten: Welche alternative Energiequelle wäre für unsere Region am besten?In Bayern haben wir sehr viel Solarenergie. Ich führe unter anderem Studien zu Wind- und Solarenergien in der Region durch. Dabei hat sich gezeigt, dass sich an fast allen Standorten die Photovoltaik durchsetzen würde, wenn man vom höchsten Ertrag ausgehen würde.
Geht die aktuelle Entwicklung in dieselbe Richtung?
Die Solarenergie erfährt derzeit einen neuen Schub. Grund ist, dass sie mittlerweile Stromgestehungskosten hat, mit denen sie konkurrenzfähig zu konventionellen Strom sein kann. Derzeit sind viele Investoren in der Region aktiv und fragen Landwirte, ob sie die Flächen für große Solarparks haben können. Aber es wird auch immer wieder über die Abstandsflächen bei der Windenergie diskutiert. Ich denke, dass wir auch da wieder einen Anstieg erleben werden. Aber wir kommen auch von einem sehr tiefen Niveau. Deshalb ist eine Steigerung keine allzu große Kunst.
Welche politischen Hürden gibt es für eine erfolgreiche Energiewende?
Grundsätzlich dürfen wir erneuerbare Energien nicht an allen Standorten ausbauen, wo wir es für sinnvoll halten. Es gibt einen räumlichen Korridor, der politisch planungsrechtlich festgelegt ist. Dieser Korridor ist sehr eng und schmal. Die Politik müsste ihn deshalb weiten. Wie bereits erwähnt ist vor allem die 10H-Regel problematisch.
Die 10H-Regelung ist auf jeden Fall zu viel. Die neuesten Windkraftanlagen sind etwa 160 bis 200 Meter hoch. Bei 10H wären das dann 1,6 bis 2 Kilometer Abstand zu Siedlungen. Wenn man diesen Radius um jede Siedlung legt, bleibt nichts übrig. Ich könnte mir vorstellen, dass 800 Meter Abstand zu Siedlungen ein Kompromiss sein könnten.
Ein weiteres – sehr aktuelles – Energie-Problem ist russisches Gas. Hat Deutschland das Potential dazu, energieautark zu sein?
Das Potential haben wir definitiv. Viele Länder könnten sich selbst versorgen. Das ist nur eine Frage des politischen Willens. Der Punkt ist aber, dass es ökonomisch keinen Sinn macht. Denn der Stromhandel ist sinnvoll. Je größer der Raum ist, in dem Regenerativstrom gehandelt wird, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwo Wind- oder Solarenergie zur Verfügung steht. Auch mit Blick auf Netzstabilität ist es wichtig, zumindest kontinental zu denken.
Rein hypothetisch gedacht. Sie sind ab morgen Bundeskanzler und haben freie Hand. Was wäre im Energiebereich Ihre erste Amtshandlung?
Ich würde vor allem auf nationaler und internationaler Ebene dafür werben, dass wir den Emissionshandel forcieren. Es geht beim Thema Klimawandel ja auch um CO2-Emissionen und nicht nur erneuerbare Energien. Und da ist das Zeitfenster eng. Es wäre richtig, dass wir den Emissionshandel nicht nur für Europa auf den Weg bringen, sondern auch global etablieren. Außerdem sollten ausnahmslos alle Branchen miteinbezogen werden. Das ist meines Erachtens der einzige Weg, wie wir die Klimakrise noch bewältigen können. Man muss ökonomische Anreize setzen, um CO2 einzusparen. Umweltzerstörung muss etwas kosten.
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PD Dr. Stephan Bosch forscht und lehrt an der Universität Augsburg. Sein Schwerpunkt ist die Energieforschung. Schwerpunktmäßig beschäftigt er sich damit, wie alternative Energiequellen – besonders im ländlichen Raum – optimal genutzt werden können. Dazu gehört nicht nur etwa die technische Konzeption von Windparks oder PV-Anlagen, sondern auch die Frage, wie neue Energielandschaften von der örtlichen Bevölkerung angenommen werden.