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Oettinger-Konflikt: „Gewerkschaft kann Unternehmen in den Konkurs streiken“
Interview

Oettinger-Konflikt: „Gewerkschaft kann Unternehmen in den Konkurs streiken“

Dr. Hagen Lesch arbeitet für das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Lesch leitet dort die Forschungsstelle Tarifautonomie und das Themencluster Arbeitswelt und Tarifpolitik. Foto: Institut der deutschen Wirtschaft
Dr. Hagen Lesch arbeitet für das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Lesch leitet dort die Forschungsstelle Tarifautonomie und das Themencluster Arbeitswelt und Tarifpolitik. Foto: Institut der deutschen Wirtschaft

Die Brauerei Oettinger und die Gewerkschaft NGG wollen ihren Tarifstreit durch eine Schlichtung lösen. Dr. Hagen Lesch, Tarifexperte vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, erklärt im Interview, wie das gelingen kann und ordnet den Tarifstreit bei Oettinger ein.

B4BSCHWABEN.de: Derzeit sind die Fronten zwischen Oettinger und der NGG ziemlich verhärtet und die Forderungen liegen auch sehr weit auseinander. Wie kann in so einem Fall ein Schlichter helfen?

Hagen Lesch: Das hängt davon ab, ob es zwischen den beiden Parteien eine Schnittmenge gibt, die die Parteien bisher nicht ausgelotet haben oder nicht ausloten konnten, weil es ihnen an Informationen mangelte. Denn jede Seite versucht, sich strategisch zu verhalten und hat in den Verhandlungen bisher vielleicht nicht alle Informationen preisgegeben. Die Funktion des Schlichters besteht jetzt darin, dass sich die Parteien von ihm in Einzelgesprächen ein Stück weit in die Karten schauen lassen. Also man gibt dem Schlichter sozusagen Informationen, die man der anderen Seite so nicht direkt geben würde. Die Hauptfunktion des Schlichters ist, das Vertrauen zu gewinnen und die Zwischentöne aus den Gesprächen herauszuhören. Ein Schlichter muss sehr sensibel ausloten, was geht und was nicht. Wenn die Positionen weit auseinanderliegen und es keine Schnittmenge an Lösungen gibt, ist der Schlichter besonders gefragt. In solchen Fällen kann er die Einigungsbereitschaft erhöhen, in dem er beiden Parteien klarmacht, was die Folgen sind, wenn sie sich nicht einigen: Unbefristete Streiks, Imageschaden des Unternehmens, Produktionsausfälle, die durch Lagerhaltung nicht mehr ausgeglichen werden können, die Gewerkschaft muss Streikgeld zahlen.

Tarifkonflikte durch Streikschlichter lösen

Wer kommt als Streikschlichter infrage und wie wird bestimmt, wer das ist?

Es kann ein gemeinsamer Schlichter benannt werden, oder jede Seite benennt einen Schlichter ihres Vertrauens. Die Ernennung oder die Berufung des Schlichters regeln die Tarifvertragsparteien normalerweise vorab in einem Schlichtungsabkommen. Der öffentliche Dienst ist dafür ein schönes Beispiel. Welche Person man benennt, das ist unterschiedlich. Es muss eine Person sein, die öffentliches Ansehen hat, also eine gewisse Reputation. Deswegen sehen wir sehr häufig Politiker in diesem Amt. Zum Beispiel Bodo Ramelow, früherer Ministerpräsident von Thüringen, und Matthias Platzeck, früherer Ministerpräsident von Brandenburg, waren häufig Schlichter bei Tarifkonflikten der Deutschen Bahn. Schlichter müssen sich schnell in die Materie einarbeiten können und müssen von beiden Seiten als neutral und lösungskompetent wahrgenommen werden. Sie müssen eine besondere Kommunikationsfähigkeit haben, weil sie sich im Rahmen dieser Schlichtung einen gewissen Respekt erwerben müssen. Spitzenpolitiker besitzen oftmals diese Fähigkeit. Es können aber auch hochrangige Richter sein.

Wie läuft eine solche Streikschlichtung ab?

Normalerweise werden erst einmal Fristen festgesetzt – wann tritt man zum ersten Mal zusammen, wie lange will man verhandeln, wie lange will man dem Schlichter Zeit geben, um seine Lösung, den Schlichterspruch, zu entwickeln? Die Schlichtung zeichnet sich auch dadurch aus, dass das Verhandlungsgremium verkleinert wird. Das heißt, man verhandelt im engeren Kreis und muss festlegen, wer in diese Gremien kommt. Wichtig ist auch, dass man in einer Schlichtungsvereinbarung verabredet, dass während der Schlichtung nicht gestreikt wird. Es ist essenziell, dass dann Ruhe herrscht, weil ja Emotionen aus diesem Konflikt herausgenommen werden müssen. Mit Warnstreiks geht das nicht. Eine Schlichtung braucht zudem Zeit. Ein Ultimatum, wie es die NGG der Brauerei Oettinger bereits in das Angebot zur Schlichtung gesetzt hat, halte ich nicht für zielführend.

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Welche Erfolgsbilanzen haben Streikschlichter?

Wir haben beim Institut der deutschen Wirtschaft eine Stichprobe ausgewertet: Rund 400 Tarifkonflikte, die zwischen 2000 und Mitte 2024 stattgefunden haben. In diesem Zeitraum gab es 50 Schlichtungen, von denen 35 erfolgreich waren. Also die Erfolgsrate ist schon relativ hoch. Es gibt aber tatsächlich große Branchenunterschiede. Der öffentliche Dienst zum Beispiel hat regelmäßig Schlichtungen, die sind aber nicht so oft erfolgreich. Das lässt sich auch bei Schlichtungen zwischen der GDL und der Bahn beobachten. In der Baubranche oder bei der Lufthansa hingegen sind die Schlichtungen oft erfolgreich.

Wie geht es weiter, wenn eine Schlichtung nicht erfolgreich ist?

Der übliche Weg ist, dass die Gewerkschaften eine Urabstimmung durchführen und dann anschließend unbefristet streiken. Dann – und das kommt aber nur noch sehr selten vor – können die Arbeitgeber mit einer Aussperrung reagieren, also auch den Arbeitswilligen den Zutritt zum Betrieb untersagen. Das Scheitern der Schlichtung heißt aber nicht, dass es wirklich knallen muss. Eine gescheiterte Schlichtung kann Kompromisslinien aufdecken und beide Seiten dazu bewegen, noch einmal in sich zu gehen, um doch noch etwas mehr aufeinander zuzugehen und einen Kompromiss zu finden.

Obligatorische Schlichtungen statt Warnstreik?

In Deutschland ist eine Schlichtung freiwillig. Ist aus Ihrer Sicht eine obligatorische Schlichtung, bevor es zu Streiks kommen kann, sinnvoll?

Eine ganz schwierige Frage, weil eine Schlichtung immer beide Seiten wollen müssen, damit sie erfolgreich ist. Bei einer obligatorischen Schlichtung kann es aber sein, dass bisher nicht beide Seiten zur Schlichtung bereit sind, dann scheitert sie und man hat nichts gewonnen. Auf der anderen Seite sollte ein Streik wirklich allerletztes Mittel sein. Hier muss man jetzt zwischen einem Produktionsbetrieb wie einer Brauerei und einem Verkehrsbetrieb unterscheiden, weil die Kundenstruktur eine andere ist. In der Brauerei habe ich gegebenenfalls Lagerbestände und kann trotzdem liefern. Notfalls müssen die Kunden auf ein anderes Produkt ausweichen. Wenn bei der Bahn oder im ÖPNV gestreikt wird, haben wir eine viel größere Drittbetroffenheit. Ich finde, hier stellt sich schon die Frage, ob die Verhandlungsparteien nicht die Verantwortung haben, die negativen Auswirkungen auf Dritte stärker zu berücksichtigen. Dazu gehört aus meiner Sicht auch, dass man vor dem Arbeitskampf einen Schlichtungsversuch unternimmt. Natürlich kann auch eine Brauerei oder ein Produktionsbetrieb in der Metallindustrie durch Streiks in die Knie gezwungen werden. Denn mit minimalem Streikaufwand kann man bei Lieferketten ein Maximum an Störungen verursachen. Theoretisch kann eine Gewerkschaft, wenn sie will, Unternehmen in den Konkurs streiken. Davon hat sie natürlich nichts, weil sie dann ihre Arbeitsplätze bei dem Unternehmen verliert.

Mehr Konflikte bei Tarifverhandlungen

Wir haben eine Wirtschaftskrise, die die Unternehmen und die Mitarbeitenden betrifft. Sind Tarifverhandlungen im Moment besonders schwierig oder gefährdet zu eskalieren?

Ja, natürlich. Die Tarifverhandlungen sind schwierig, weil wir durch die Krisen Reallohnverluste haben. Die Gewerkschaften stehen unter Druck. Mitglieder und Beschäftigte erwarten, dass die Reallohnverluste ausgeglichen werden. Gleichzeitig stehen die Unternehmen unter wirtschaftlichem Druck und die Konzessionsbereitschaft der Unternehmen ist gering. Da sind naturgemäß Verhandlungen schwierig. Wir haben nächstes Jahr wieder große Tarifrunden, in vielen zentralen Branchen. Das wird nicht einfach werden.

Sind Streit und Streik bei Tarifverhandlungen mehr geworden?

Es wird messbar mehr gestreikt. Die Streikausfalltage sind angestiegen. In den 80er, 90er und 2000er Jahren sind sie zurückgegangen und ab den 2010er Jahren wieder gestiegen. Ausfalltage beschreiben das Klima in Tarifverhandlungen aber nur unvollständig. In unserem Konfliktbarometer analysieren wir umfassender, wie konfliktreich Tarifverhandlungen sind. Dann werden Streikdrohungen, Urabstimmungen und Schlichtungen als Konflikthandlungen eingerechnet. Bei diesem Verfahren zur Messung des Klimas in Tarifverhandlungen liegen aber erst Daten ab dem Jahr 2000 vor. Dabei zeigt sich in den vergangenen Jahren eine überdurchschnittliche Konfliktbereitschaft, aber noch kein stabiler Trend.

Die Lohnkosten in Deutschland sind höher als in Nachbarländern. Sind Tarifverträge ein Risiko für ein Unternehmen?

Nein, es gibt auch in anderen Ländern Tarifverträge. Aber: Ja, wir haben hohe Arbeitskosten. Das ist nur nicht tariflich bedingt. Unser Arbeitsmarkt hat sich vom Arbeitgebermarkt in Richtung Arbeitnehmermarkt gedreht. Die tatsächlich gezahlten Löhne sind in den vergangenen Jahren schneller gestiegen als die tariflichen Löhne. Das heißt, der Lohndruck entstand auch aufgrund unserer langen Wachstumsphase und des hohen Arbeitskräftebedarfs. Deswegen würde ich die Arbeitskostenprobleme jetzt nicht den Tarifverträgen zuschieben. Jetzt in dieser Phase müssen die Gewerkschaften natürlich aufpassen, dass sie den Bogen nicht überspannen: In vielen Industrien werden gerade Kapazitäten abgebaut, gleichzeitig wollen die Gewerkschaften den Reallohnverlust ausgleichen. Ich kann aber nicht in der Krise höhere Löhne und Beschäftigungssicherheit haben wollen. Das funktioniert nicht. Da müssen die Gewerkschaften sich überlegen, was sie wollen und sie stehen da schon in der Verantwortung.

Tarifkonflikt bei Oettinger: Wie kann es weitergehen?

Bei Oettinger und der NGG scheint das Verhältnis im Moment vergiftet. Oettinger wirft der Gewerkschaft vor, Arbeitsplätze zu gefährden. Die Gewerkschaft wirft Oettinger vor, die Gesundheit der Mitarbeitenden zu gefährden. Wenn solche Vorwürfe im Raum stehen, wie kann ein Klima wieder entgiftet werden?

Hier tragen beide Seiten eine gewisse Verantwortung. Man muss abwarten, ob eine Schlichtung jetzt funktioniert. Die kann Wogen glätten. Wenn eine Schlichtung nicht funktioniert und die Situation richtig eskaliert, dann wird es schwierig. Ein angespanntes Betriebsklima könnte auch dazu führen, dass die Motivation im Betrieb entsprechend gering ist und der Produktivität schadet. Bei innerbetrieblichen Konflikten kommt am Ende der Betriebsrat ins Spiel, als integratives Element, das zwischen Belegschaft und Unternehmensführung vermittelt.

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