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B4BSCHWABEN.de: Seit 2024 wurden 30.000 Stellen in der Metall- und Elektroindustrie abgebaut. Sie haben nun die Betriebsräte von über 300 bayerischen Unternehmen aus dieser Branche befragt. Was zeigen die Umfrageergebnisse?
Horst Ott: 41 Prozent der Betriebe planen Verlagerungen von Tätigkeiten in der Produktion, ein Drittel der Betriebe will auch Entwicklungsarbeit verlagern. 43 Prozent der Betriebe planen aktuell Verlagerungen von Produkten, über die Hälfte davon verlagert auch Zukunftsprodukte. Wir befinden uns also bereits mitten im Verlagerungsprozess und er läuft unvermindert weiter.
Welche Folgen befürchten Sie dadurch für Bayerns Wirtschaft?
Die Entwicklung und Industrialisierung von Produkten gehen bereits jetzt nach China. Unser Leitwerkmodell beginnt zu erodieren. Damit setzen die bayerischen Unternehmen die Zukunftsperspektiven unserer Standorte aufs Spiel. Wenn dieser Prozess nicht schnell gestoppt wird, werden wir unwiederbringlich industrielle Substanz verlieren.
Wie kann oder sollte die Regierung verhindern, dass nicht nur zunehmend Produktionen, sondern auch Entwicklung und Zukunftsprodukte ins Ausland verlagert werden?
Die Politik muss die Rahmenbedingungen verbessern, vor allem durch einen wettbewerbsfähigen Industriestrompreis, einen zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien und Stromnetze sowie eine volle Offensive zum Hochlauf der E-Mobilität. Die jetzt angekündigte Verlängerung der KFZ-Steuerbefreiung für E-Autos und die finanzielle Kaufunterstützung für kleine und mittlere Einkommen sind gute erste Maßnahmen. Gleichzeitig muss die Politik den Unternehmen klarmachen: Wenn wir jetzt Maßnahmen für euch auf den Weg bringen, müsst ihr auch Arbeitsplätze in Deutschland sichern.
Sie sagen, dass Deutschland und Europa „vom Irrglauben von freien Märkten“ wegkommen und Industriearbeitsplätze schützen sollen. Welche Vorschläge haben Sie hier?
China und die USA fördern ihre Industrien mit Subventionen, Zöllen und Handelsbeschränkungen. Freie Märkte und fairen Wettbewerb gibt es in der Realität längst nicht mehr. Deshalb erwarten wir von der Politik, dass sie endlich auch unsere Industriearbeitsplätze schützt. Die Antwort sind verbindliche Local-Content-Regeln.
Sie fordern in Deutschland Local-Content-Regeln, also Lokalisierungsanforderungen, um weiteres Abwandern von Unternehmen zu stoppen. Wie stellen Sie sich das vor?
Wer seine Produkte bei uns verkaufen will, oder wer öffentliche Gelder oder Förderungen bekommt, muss verpflichtet werden, bei uns vor Ort auch in Standorte, Arbeitsplätze und Wertschöpfung zu investieren. Dafür muss die Politik verbindliche Quoten festlegen, und zwar auf EU-Ebene. Local-Content-Regeln sind der einzige Hebel, der noch funktioniert. Denn die Abwanderung ist im vollen Gange.
Unternehmen gehen auch ins Ausland, weil sie durch die hohen Preise für etwa Energie oder Personal immer weniger wettbewerbsfähig sind. Deutschland ist da, auch im EU-Vergleich, teurer. Wenn sich diese Bedingungen nicht genügend verbessern: Können dann Local-Content-Regeln überhaupt funktionieren oder könnten Unternehmen, weil sie dann (mehr) in Deutschland produzieren müssen, erst recht aufgerieben werden?
Im Gegenteil. Local-Content-Regeln würden ja die heimischen Unternehmen schützen vor der massiv subventionierten Konkurrenz aus China, die durch unfairen Wettbewerb mit Kampfpreisen auf unsere europäischen Märkte drängt. Die Lohnkosten spielen übrigens eine relativ geringe Rolle. Die Lohnkostenquote in der Metall- und Elektroindustrie liegt durchschnittlich gerade mal bei 16 Prozent, in vielen hoch digitalisierten Betrieben ist sie deutlich einstellig. Was anderes ist entscheidend: Die Unternehmen können im aktuellen Umbau der Industrie nicht die gleichen Renditeerwartungen aufstellen wie in Boomphasen. Das ist unrealistisch. Sie müssen sich jetzt zu den heimischen Standorten und Arbeitsplätzen bekennen und in sie investieren.
Durch Tarifstreits zwischen Gewerkschaften und Unternehmen entsteht oft der Eindruck von einem Gegeneinander der beiden. Beide Seiten fordern jetzt von der Politik Reformen, um den Wirtschaftsstandort wieder attraktiver zu machen. Wie können Unternehmen und Gewerkschaften hier zusammenarbeiten? Welchen Druck können beide zusammen auf die Politik ausüben?
Bei vielen industriepolitischen Themen gibt es große Überschneidungen zwischen der IG Metall und den Arbeitgeberverbänden. Wir sind da ständig im Dialog und unternehmen auch gemeinsame Initiativen Richtung Politik, zum Beispiel bei den Themen Industriestrompreis und Rahmenbedingungen für die Auto- und Zulieferindustrie.
Solange die Regierung nötige Schritte nicht unternimmt: Was können Gewerkschaften und Unternehmen, jeder selbst, aber auch gemeinsam tun, um die Situation zu verbessern?
Bei konkreten betrieblichen Herausforderungen bemühen wir uns als Tarifpartner gemeinsam mit den Arbeitgebern um vernünftige Lösungen. Oft gelingt das auch. Wir schließen im Jahr über 400 Tarifverträge in Bayern ab – das ist Tagesgeschäft. Nur wenn es nötig ist, gehen wir gemeinsam mit den Beschäftigten in den Widerstand, um Arbeitsplätze und Standorte zu sichern. Auch das gelingt oft.
Wenn wir uns in einem Jahr wieder unterhalten – auf welche wirtschaftliche Situation blicken wir dann?
Leider bin ich kein Hellseher. Aber wenn die Politik die angesprochenen Rahmenbedingungen verbessert und die Unternehmer ihre Verantwortung für die Arbeitsplätze in der Region wahrnehmen, bin ich zuversichtlich, dass wir in einem Jahr schon optimistischer sein können.