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„‘Fuck‘ ist das neue ‚Scheiße‘ und das werden sich diese drei Menschen auch oft gedacht haben. Denn bei ihnen ist ordentlich was schiefgelaufen“, eröffnete Moderatorin Claudia Markert die dritte Fuckup Night der IHK Schwaben. „Und dafür feiern wir sie heute. Denn es kann halt mal was schieflaufen und darüber müssen wir reden.“
Dem Scheitern eine Bühne geben – das ist das Prinzip der Fuckup night. Fehler sind nicht das Ende der Welt, sie passieren und wir lernen daraus. Bei der dritten Ausgabe der IHK Fuck up night im Gaswerk haben drei Unternehmerinnen und Unternehmer die rund 750 Gäste mit auf ihre Reise des Scheiterns und Weitermachens genommen: Sebastian Priller, Geschäftsführer der Brauerei Riegele; Ingmar Hoerr, Gründer von Curevac, und Isabell Espig aus dem thüringischen Eisenach, Gründerin der Freizeitplattform Rosa Krokodil.
„Mein Vater und ich waren unter Schock. Es hat gedauert, bis unsere Grund-DNA wieder da war und wir nicht mehr gejammert haben“, gibt Sebastian Priller auf der Bühne zu. Priller steht in Lederhose und einem Glas Bier auf der Bühne. Erkältet, die Stimme kratzig, doch diesen Auftritt wollte er sich nicht nehmen lassen.
Wie kam es zu dem Schock, der ihn und seinen Vater ereilt hat? Kaum jemand in Augsburg wird ihn nicht kennen: den Spezi-Streit zwischen den Brauereien Paulaner und Riegele. 1965 hatte die Brauerei Riegele das Spezi erfunden – bis dahin mischten die Wirte das Getränk immer selbst aus Limo und Cola. Die Nachfrage der Wirte nach dem vorgemischten Spezi ist groß. „Erfolg schafft Trittbrettfahrer, die profitieren wollen“, baut Sebastian Priller die Spannung auf. Zweimal wollte Paulaner zwei eigene Spezi-Marken auf den Markt bringen, zweimal zogen sie ihre Produkte wieder zurück, nachdem Riegele den Münchner Nachbarn abgemahnt hatte.
Im März 1974 gehen sie auf ein Angebot der Paulaner-Anwälte ein, Paulaner einen eigenen Lizenzvertrag zu geben. „Da machten wir drei Fehler für einen Super-Fuckup“, sagt Priller ehrlich. Statt einer laufenden Lizenz wird eine Einmalzahlung von 10.000 DM vereinbart; eine Laufzeit wird nicht vereinbart; Paulaner darf an dem Etikett von damals nichts ändern – dadurch habe Paulaner aktuell einen „Retro-Lauf“. Priller lacht fassungslos, das Publikum mit ihm.
Weil Verträge ohne Laufzeit nach 30 Jahren kündbar sind, übermittelt Riegele nach München eine Änderungskündigung mit einem neuen Lizenzvertrag – und Paulaner reicht eine Feststellungsklage gegen Riegele ein. Den Rechtsstreit vor dem Oberlandesgericht München verliert Riegele und bleibt auf siebenstelligen Kosten sitzen. Das Gericht sieht den Vertrag von damals als unkündbar.
Man merkt Priller an, dass ihn die Geschichte nach wie vor fassungslos macht – die Fehler aus den 70ern, die sich immer noch auf das Heute auswirken. Die Fehler, die er und sein Vater im Heute vor Gericht gemacht haben. Doch auf der Bühne kann er auch darüber lachen. „Das Einzige, was wirklich immer hilft, ist verflucht nochmal aufstehen und weitermachen“, gibt Priller dem Publikum mit auf den Weg – zusammen mit seinen größten Learnings aus dem Spezi-Streit:
1. Dinge immer vom Ende herdenken, weil Märkte sich ändern.
2. Egal wie groß der Zeitdruck ist: Jeden Vertrag auf eine Exit-Strategie prüfen.
3. Wo verhandelt wird, ist nicht egal. „Überall außer in München hätten wir gewonnen“, ist sich Priller sicher.
4. Vor Gericht immer gleich „all in“ gehen, Gutachten immer gleich am Anfang einreichen und mit allen Mitteln kämpfen. „Wir wollten sachlich und nicht emotional kämpfen. Paulaner schon und hat uns als raffgierig dargestellt“, erinnert sich Priller an den Gerichtsprozess. Es entscheide aber im Unterbewusstsein die Emotionalität.
5. Sei auf jedes Urteil vorbereitet. „So ein Urteil zieht dir den Boden unter den Füßen weg.“
Riegele hat aus seinen Fehlern gelernt und mittlerweile mit Krombacher für Deutschland und auch mit Paulaner für den europäischen Markt neue Verträge geschlossen: Beide Verträge mit Lizenzvereinbarungen, Laufzeit und Exitstrategie.
„Ich habe gemerkt, ich kann keinen Schritt weiter gehen. Ich war wütend auf mich, auf die Entwickler und ich habe mich geschämt“, erzählt Isabell Espig. Sie hatte 2021 eine Onlineplattform für Freizeittipps für Familien gegründet – das Rosa Krokodil. „Ich habe ein Unternehmen gegründet und es voll gegen die Wand gefahren. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, es war wichtig.“
2021 kündigt Espig ihre Festanstellung – „und dann bin ich gesprungen.“ Am Anfang lief es gut, sagt sie. Doch folgt man ihrer Erzählung, macht sie gleich zu Anfang Fehler, die ihr später auf die Füße fallen sollten: Sie holt keine Vergleichsangebote für die Entwickler ihrer Plattform ein und prüft voll Vertrauen auch nicht, was die Entwickler machen. Im rosa Kostüm – farblich passend zu ihrem Unternehmen – läuft Espig auf der Bühne der Fuck up Night auf und ab, als sie ihre Geschichte des Scheiterns erzählt.
Fünf Tage vor dem groß angekündigten Launch des Rosa Krokodils sind die Entwickler für sie nicht mehr erreichbar. Am Tag des Launches brechen die Server zusammen. Doch nicht etwa, weil der Ansturm auf die Seite so groß war: „Die Plattform war Schrott“, sagt Espig. Die Entwickler wollen mehr Geld, um die Plattform fertig zu entwickeln. Bei einer Klage werden Espig nur 40 Prozent Erfolg in Aussicht gestellt.
Espig kämpft weiter, sucht Auswege und kann irgendwann nicht mehr. Setzt sich mit ihrem Scheitern auseinander. „Der einzige Weg durch die Trauer ist mitten durch. Du musst da durch“, erzählt sie. „Scheitern bedeutet nicht: Mach es nicht. Es bedeutet: Mach es besser. Wir sollen aus Fehlern lernen.“
Espig und ihr Rosa Krokodil stehen wieder auf und fangen von vorne an: Heute hat das Rosa Krokodil sieben Mitarbeitende, sie hat ihr Start-up anders aufgezogen als damals. Sich auf ihr Tempo und ihre Stärken besonnen. Sie hätte den einfachen Weg gehen können, zurück in eine Festanstellung. „Wieso bin ich drangeblieben? Weil ich an die Vision von dem Rosa Krokodil zu 100 Prozent glaube“. Espig blickt ruhig ins Publikum „Ich zweifle oft an meinem Weg“, gibt sie zu. „Aber ich bin nie in meinem Leben so über mich hinausgewachsen wie aktuell, wie in der Phase des Gründens.“
Nicht aufgeben und weiter machen, das ist etwas, das ihre Kinder von ihr lernen. „Selbst wenn ich mit meinem Unternehmen keinen Erfolg habe, kann ich nichts besseres vorleben“, sagt sie und verlässt unter Applaus die Bühne. Im Publikum: Ihr Mann und ihre zwei Kinder.