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Woke Washing – mehr Schein als Sein
Brand aktuell

Woke Washing – mehr Schein als Sein

Einfach mal Aufhübschen: Das Buzzword „Green Washing“ hat sich mittlerweile weit über die Marketingwelt hinaus etabliert und treibt bei dem ein oder anderen Brand-Verantwortlichen regelmäßig Schweißperlen auf die Stirn – und das aus gutem Grund. Der Begriff „Woke Washing“ schlägt in eine ähnliche Kerbe.

„Woke Washing“ nutzt unter dem Deckmantel von gesellschaftlicher Unternehmensverantwortung allerlei Begrifflichkeiten, um sich pro Markenaktivismus auszusprechen und rührt gleichzeitig die PR-Werbetrommel, um maßgeblich davon zu profitieren. Und da sind wir auch schon beim Thema: „Washing“ lässt sofort die kommunikativen Alarmglocken aufleuchten und einen Schauer über den Rücken laufen, denn in einer Zeit, in der die Gefahr von Shitstorms in sozialen Netzwerken allgegenwärtig ist, gilt die Devise „mit dem Strom und ja nicht gegen den Strom“. Möglichst keine Ecken und Kanten besitzen und sicherlich keine (politischen) Standpunkte vertreten, bei denen sich unter Umständen irgendjemand auf den Schlips, die Pumps oder den Zeh getreten fühlen könnte.

Ist es daher verwunderlich, dass sich Marken grundsätzlich mit sozialer und gesellschaftlicher Fortschrittlichkeit in Verbindung bringen möchten, quasi alles unreflektiert fördern, was gerade von der Zielgruppe als wichtig erachtet wird und nicht bei drei auf dem Baum ist? Inklusive echter Begeisterung versteht sich.

Die kurze Antwort: Vermutlich nicht. Aber ist es zielführend, jährlich während des „Pride Months“ Juni, der auf die Stonewall Riots im Jahr 1969 zurückgeht, seinen Webauftritt bunt zu gestalten und sich mit der LGBTIQ+-Community „gutzustellen“, nur um sich im Anschluss die restlichen elf Monate im Jahr wieder nicht dafür zu interessieren? Das ist eine fragwürdige Tradition, die mittlerweile einen ähnlich hohen Stellenwert besitzt, wie Adventskalender-Promos diverser Unternehmen zur Weihnachtszeit und dabei nur die Spitze eines Eisbergs darstellt, der sich „Woke Washing“ nennt.

Was bedeutet der Slang-Begriff „Woke“ denn überhaupt?

Um im aktuellen Zeitgeist zu bleiben, kann man das nur sehr frei ins Deutsche übersetzen: „Woke“ bezieht sich auf Jene, die „wachsam“ sind und sich selbst im Klaren sind, was hinsichtlich sozialer Ungerechtigkeit passiert. Wie schnell dieses Kartenhaus aus falschen Informationen, Irreführungen und übertriebenen PR-Aktionen jedoch zusammenbrechen kann, zeigte erst kürzlich der Fall rund um Fynn Kliemann. Jemand, der sich – wenn es nach ihm geht – für die Umwelt und Menschenrechte einsetzt, aber halt auch der Meinung ist, dass Krise geil sein kann – vorausgesetzt, es springt was für einen selbst heraus. Das solch eine Anschauung auch ordentlich Gegenwind erzeugt ist, sollte nicht überraschen.

Aber auch global-agierende Marken schmücken sich mit einer scheinbar weißen Weste, gaukeln Engagement jeglicher Art vor und kommunizieren genau dadurch an der Zielgruppe vorbei.

MARKEN ZWISCHEN WUNSCH UND REALITÄT 

BMW – Bloß keine Farbe bekennen

Wie eingangs erwähnt, lässt der „Pride Month“ zahlreiche Marken scheinbar wie mit einem Fingerschnips umdenken. Kein Wunder also, dass insbesondere der Social-Media-Auftritt auf links gedreht wird und es Niemanden wundern würde, wenn der 1. Juni dick und fett im Redaktionsplan unterstrichen ist. Das weiß auch BMW und hat 2022 – selbstverständlich wie auch in den letzten Jahren – das Firmenlogo auf den internationalen Kanälen in eine bunte Regenbogen-Anmutung versetzt. Schade nur, wenn bei einer solchen öffentlichkeitswirksamen Aktion relevante Länder einfach vergessen werden. Denn im Zuge der digitalen Inszenierung blieben auffälliger Weise ausgerechnet die Accounts für Saudi-Arabien, Russland und Polen außen vor. Ein Zufall? Nun, dass es ein Leichtes ist, sich in den Ländern, in denen die LGBTIQ+-Community weitestgehend akzeptiert wird, als Unterstützer feiern zu lassen, steht außer Frage. Wichtig wären allerdings die Staaten, in denen das offene Ausleben von Homosexualität und Co. eingeschränkt und sogar unter Strafe gestellt wird. Die Frage, die sich hier stellt, ist, wer letzten Endes am längeren Hebel saß. Der Purpose oder der Geldbeutel? Auf jeden Fall wurde eine große Chance verpasst sprichwörtlich „Flagge zu zeigen“.

Gillette – Das schlechteste im Mann

Wir schreiben das Jahr 2019 und die MeToo-Debatte bestimmt den Content der digitalen und analogen Welt. Das heißt für viele Marken unweigerlich, dass sie nicht anders können als sich mit dieser Bewegung zu verflechten. Zum einen, um nicht selbst als Ziel auserkoren zu werden und zum anderen, um den „Hype“ für sich selbst zu nutzen.

In diesem Zusammenhang schickt Gilette einen Werbespot ins Rennen, änderte dafür seinen Claim „The Best a Man Can Get“ kurzerhand zu „The Best a Man Can Be“ und thematisierte das „typische“ männliche Verhalten. Dabei schafft es der Rasieranbieter die eigenen (potentiellen) Kunden zu diffamieren, mit ungerechtfertigten Aussagen zu konfrontieren, toxische Männlichkeit als „unausweichlich“ anzusehen und last but not least alle Männer als niveaulos und chauvinistisch über einen zu Kamm scheren.

Statt sein Image aufzubessern, „woke“ zu wirken und die Zielgruppe darüber zu informieren, Gilette helfe einem dabei, ein besserer Mann zu sein, wird genau diese mit einem nicht mehr zeitgemäßen und vor allem sexistischen Weltbild in Verbindung gebracht. So geht die an sich emotionale Message „Die Jungs von heute sind die Männer von morgen“ leider verloren, weshalb einen das Gefühl nicht loslässt, die Marke kennt seine Kunden nicht und vermutet, sie seien ohne die richtige Rasur nur ein instinktgetriebener Höhlenmensch. Da hat sich die Brand eindeutig genschnitten.

Nike – Die Mutter der Sponsorenskandale                                    

Wer nun denkt, Nike, die Marke, die in der Vergangenheit explizit Marketingmaßnahmen von Frauen für Frauen realisierte, wird sich mit voller Überzeugung für das weibliche Geschlecht rund um die Marke stark machen, der irrt. Mitsamt einem der unverständlichsten Woke-Washing-Skandale im Gepäck, wurden gezielt Schwangere benachteiligt – und das, obwohl das Unternehmen eine eigene Mama-Kollektion mit dem Slogan „Du bist stärker als jemals zuvor“ im Sortiment führt.

Doch worum geht es? Alysia Montaño ist eine 800-Meter-Läuferin und wurde Vierte bei den Olympischen Spielen 2012. Im Juni 2014 sorgte sie für weltweites Aufsehen, als sie hochschwanger im achten Monat einen 800-Meter-Lauf bei den US-amerikanischen Leichtathletik-Meisterschaften gelaufen ist, da ansonsten ihre Sponsorengelder von Nike – trotz Vertrag – deutlich gekürzt worden wären. Ähnlich erging es der sechsfachen Olympiasiegerin und elfmaligen Weltmeisterin Allyson Felix, der Nike nach der Geburt ihres ersten Kindes den Sponsorenvertrag um 70 Prozent kürzen wollte – und dass, obwohl sie als Weltstar jahrelang eine hervorragende Markenbotschafterin für Nike war. Den Höhepunkt an Absurdität erreicht der Skandal, wenn man bedenkt, dass selbiger Sponsor im Zuge der „Dream-Crazier“-Kampagne mit Profisportlerinnen, wie u.a. Serena Williams, dazu ermutigen möchte, „verrückter zu träumen“. Wie das Resultat des gespielten Empowerments für Frauen aussieht? Werdende Mütter haben Angst davor, ihrem Sponsor von der Schwangerschaft zu erzählen, da sie um ihre Sponsoring-Verträge fürchten. Leider ein sehr gutes Beispiel für „Große Klappe, nichts dahinter“ und eine beunruhigende Realität, dass Nike zwar die Flagge für Chancengleichheit hochhält, aber (werdende) Mütter augenscheinlich nicht als vollwertig ansieht.

Reasons and Consequences

Wer mit dem Feuer spielt, wird sich früher oder später verbrennen. Das gilt – wie im echten Leben – auch bei der Markenkommunikation, sofern diese auf falschen Tatsachen aufbaut und mit Effekthascherei punkten will. Doch wie so häufig profitieren Unternehmen durch die Schnelllebigkeit der Consumer und der stetig anhaltenden Sensationsgier, weshalb negative Publicity zwar kurzzeitig in aller Munde ist, aber oftmals nach einer gewissen Zeit genauso schnell verschwindet, wie sie aufgetaucht ist. Denn mal Hand aufs Herz: Haben Sie noch die Amazon-Kampagne aus 2020 im Kopf, als der Versandhändler mittels einer emotionalen Kampagne versuchte, die eigenen Mitarbeiter als Helden an vorderster Front zu feiern? Wohlwissend, dass dies eine gefährliche Situation darstellt? Oder die 2018er Lacoste Produktkampagne, bei der das beliebte Stick-Krokodil gegen bedrohte Tierarten ausgetauscht wurde und der Erlös an die Weltnaturschutzunion gespendet wurde. Leider ist dies ebenso unglaubwürdig beziehungsweise heuchlerisch wie die bereits genannten Beispiele, wenn parallel oder im Anschluss Produkte aus diversen Lederarten angefertigt und gewinnbringend verkauft werden. „Woke Washing“ ist eine Mechanik im Marketing, die hervorragend dafür geeignet ist, eine kurzfristige Umsatzmaximierung durch Zielgruppenerweiterung zu erreichen. Allerdings ist dies auf lange Sicht gesehen (glücklicherweise) keine Maßnahme, um sich Marktanteile zu sichern oder zu expandieren – eher im Gegenteil. Der unwiderrufliche Imageschaden, der durch vorgetäuschtes Engagement geschaffen wird, schürt Misstrauen, behindert Vertragsverlängerungen, sorgt für schlechtere Konditionen und letztendlich konsequenterweise zu Umsatzeinbußen. Erst dann kommt meistens die notwendige Einsicht – quasi Lernen durch Schmerzen.

TATEN SPRECHEN LASSEN

Mit Purpose Driven Marketing bieten sich allerlei Chancen für Brands, um sich gezielt zu positionieren, neue Zielgruppen zu erreichen und sich zum Wettbewerb zu differenzieren – und das ist gut so. Allerdings darf die Motivation niemals ausschließlich von monetärer Natur sein, da so die Versuchung des „Woke Washings“ zu groß sein könnte und man sich leider von der einst eingeschlagenen und mit Hingabe verfolgten Route verabschiedet.

Auch wenn es in diesem Bereich sehr viele Beispiele gibt, die einen an Marken zweifeln lassen, ist es wichtig, objektiv zu betrachten, ob Engagement bewusst gespielt wird oder die genutzten Maßnahmen schlichtweg unausgereift sind. Markenaktivismus per se als „Woke Washing“ abzustempeln ist unangebracht. Marken, die wie unter anderem die DKB monatsweise ihren gesellschaftlich angepassten „Purpose“ vertreten – Stichwort: Pride Month – aber es nicht für nötig halten, ihr Kontaktformular mit dem dritten anerkannten biologischen Geschlecht (Divers) zu versehen, sollten ihre gewählten Maßnahmen hinsichtlich Diversity dennoch auf den Prüfstand stellen.

Die tiefgreifenden Werte einer Brand lassen sich nämlich nicht durch ein Social-Media-Profilbild kommunizieren. Themen, die angeblich einen Teil des Markenkerns ausmachen, benötigen die verdiente Aufmerksamkeit und echtes Engagement, das kein Schnellschuss sein darf und ganz sicherlich kein simples Aufspringen auf einen Hype. Und so sind laut einer aktuellen Studie aus dem Hause Xpay ganze 68 Prozent der Meinung, dass es zwingend notwendig ist, dass Unternehmen weniger über ihren Purpose reden und stattdessen ihren Werten entsprechend handeln. Weitere 65 Prozent empfinden einen starken Antrieb als Identifikationspotential zu wenig. Bewusstes „Woke Washing“ ist demnach keine zielführende Maßnahme, um seinen Profit nachhaltig zu steigern. Zwar kann mit Geld um sich werfen oder einen „Head of Diversity and Inclusion“ einzustellen, um die Marke vor Kritik zu schützen, für kurze Zeit hilfreich sein. Allerdings bringt die schönste Fassade nichts, wenn diese nur aus Marketing- und PR-Maßnahmen erbaut ist und zu bröckeln beginnt, sobald jemand hinter die Kulissen blickt. Oder um es mit den Worten von William Shakespeares König Lear zu formulieren: „Was List verborgen, wird ans Licht gebracht. Wer Fehler schminkt, wird einst mit Spott verlacht.“

Marco Trutter, Brandexperte aus Augsburg, beleuchtet im Rahmen der B4B-Rubrik „trumedia Brand Lab“ regelmäßig die Marketingbranche und gibt konkrete Handlungsempfehlungen für konsistente und nachhaltige Markenkommunikation. Darüber hinaus ist er CEO und Geschäftsführer der trumedia GmbH, die seit 2009 globale Konzerne, mittelständische Unternehmen sowie vielversprechende Start-Ups aus allen Wirtschaftsbereichen – von Automotive über Finance, Food, Fashion und Sports bis hin zu Medical – hinsichtlich Markenführung und -entwicklung unterstützt.