Whistleblower sollen künftig besser agieren können. Das bestimmt eine neue gesetzliche Richtlinie. Wie Unternehmer damit umgehen sollten, erklärt Michael Wagner, Partner, Rechtsanwalt bei der Augsburger Wirtschaftskanzlei SONNTAG.
Der europäische Gesetzgeber hat am 23. Oktober 2019 die Richtlinie (EU) 2019/1937 (Whistleblower-Richtlinie) „zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden“ verabschiedet. Whistleblower sind Personen, die Missstände im öffentlichen Interesse innerhalb einer Organisation aufdecken. Ziel der Richtlinie ist es mitunter, Whistleblowern die Möglichkeit zur Meldung von Missständen in Unternehmen und öffentlichen Stellen zu erleichtern und diese gleichzeitig vor Repressalien zu schützen.
Bislang existierten in den EU-Mitgliedstaaten – wenn überhaupt – nur lückenhafte Schutzmaßnahmen für Whistleblower. Die Whistleblower-Richtlinie stellt erstmals einen europaweit einheitlichen Rechtsrahmen für den Schutz von Hinweisgebern bereit und begründet in diesem Zuge eine Handlungspflicht nicht nur für Behörden, sondern auch für Unternehmen.
Bis zur Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht gilt für Unternehmen des Privatrechts noch keine direkte Handlungspflicht. Die Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes durch die deutsche Bundesregierung ist jedoch bereits überfällig und daher in naher Zukunft zu erwarten. Unternehmen ist deshalb geraten, sich schon jetzt mit den Auswirkungen der Whistleblower-Richtlinie zu befassen.
Konkret sieht die Richtlinie eine Verpflichtung vor, wonach Unternehmen mit mindestens 50 Beschäftigten ein Meldesystem für Hinweisgeber bereitzustellen haben. Die Richtlinie gibt hierbei bestimmte Mindestvorgaben vor, die das Meldesystem zu erfüllen hat:
Die Meldestelle kann mit Unternehmensangehörigen besetzt oder durch externe Dienstleister betrieben werden. Als mögliche Meldewege können vorgesehen werden:
Meldungen sollen dabei zum einen anonym erfolgen können, zum anderen muss es dem Hinweisgeber ermöglicht werden, zwischen einer schriftlichen und einer mündlichen Übermittlung wählen zu können. Es sind demnach verschiedene Meldewege vorzuhalten.
Der sachliche Anwendungsbereich der Whistleblower-Richtlinie ist nach Art. 2 Whistleblower-Richtlinie beschränkt auf unionsrechtliche Verstöße in den Bereichen öffentliche Auftragsvergabe, Finanzdienstleistungen, Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, Produktsicherheit, Verkehrssicherheit, Umweltschutz, kerntechnische Sicherheit, Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit, Tiergesundheit und Tierschutz, öffentliche Gesundheit, Verbraucherschutz, Schutz der Privatsphäre, Datenschutz, Sicherheit von Netz- und Informationssystemen, EU-Wettbewerbsvorschriften, Körperschaftsteuervorschriften sowie Verstöße gegen die finanziellen Interessen der EU.
Den Mitgliedstaaten bleibt es nach Art. 2 Abs. 2 Whistleblower-Richtlinie jedoch unbenommen, den sachlichen Anwendungsbereich im Rahmen nationaler Umsetzungsgesetze der Whistleblower-Richtlinie auch auf Verstöße gegen nationales Recht zu erweitern. Ob und inwieweit hiermit zu rechnen ist, kann derzeit noch nicht valide prognostiziert werden.
Der Schutz von Whistleblowern wird insbesondere durch das in Art. 19 Whistleblower-Richtlinie normierten Verbot von Repressalien gewährleistet. So sind etwa Entlassungen, Versagungen von Beförderungen oder Nichtverlängerungen von Zeitarbeitsverträgen als repressive Maßnahmen verboten. Abgesichert wird dieses Verbot durch die in Art. 21 Abs. 5 Whistleblower-Richtlinie geregelte Beweislastumkehr zulasten der Unternehmen: Nicht der Whistleblower muss beweisen, dass eine arbeitsrechtliche Maßnahme aufgrund des Whistleblowings erfolgt ist, sondern das von der Meldung betroffene Unternehmen unterliegt der Beweislast, dass es sich bei der arbeitsrechtlichen Maßnahme nicht um eine unzulässige Repressalie i. S. d. Art. 19 Whistleblower-Richtlinie handelt. Ob sich insoweit Befürchtungen realisieren werden, dass im Vorfeld von sich abzeichnenden Entlassungen von Arbeitnehmern versucht werden könnte, Missstände zu melden, um so in den Schutzbereich des Verbots von arbeitsrechtlichen Repressalien zu gelangen und hierdurch den eigenen Kündigungsschutz zu verbessern, wird abzuwarten sein.
Die Richtlinie sieht ferner in Art. 23 Whistleblower-Richtlinie Sanktionen für natürliche und juristische Personen vor, die das Melden etwaiger Verstöße behindern oder zu behindern versuchen, Repressalien gegen geschützte Personen verhängen, mutwillig Gerichtverfahren gegen den geschützten Personenkreis anstrengen oder die Identität des Hinweisgebers unberechtigt preisgeben.
Weder die Whistleblower-Richtlinie noch der derzeitige Gesetzesentwurf der Bundesregierung sehen Sanktionen gegenüber Unternehmen vor, die keine Meldestelle einrichten. Jedoch sollte seitens der Unternehmen dringend folgende Überlegung einbezogen werden: Nach Art. 10 Whistleblower-Richtlinie können sich Hinweisgeber auch unmittelbar an zuständige Behörden wenden, ohne dass hierfür zusätzliche Voraussetzungen (etwa der Versuch einer vorherigen internen Klärung) erfüllt sein müssten. Unter bestimmten Voraussetzungen ist sogar eine direkte Meldung an die Öffentlichkeit zulässig.
Hinweisgebern sollte daher ein niederschwelliger und einfach zugänglicher interner Meldeweg eröffnet werden, um wirksam zu verhindern, dass etwaige Missstände unmittelbar an behördliche Stellen oder gar die Öffentlichkeit gemeldet werden. Sollen Reputationsverluste nachhaltig vermieden ist, ist die Einrichtung eines effektiven internen Hinweisgebersystems ungeachtet etwaiger gesetzlicher Verpflichtungen vor diesem Hintergrund unerlässlich.
Gleichzeitig kann die souveräne Implementierung von Compliance- und Hinweisgebersystemen als Teil der positiven Außenwirkung eines Unternehmens genutzt und damit – gerade heutzutage – einen nicht zu unterschätzenden Wettbewerbsvorteil darstellen.
Nach der Veröffentlichung der Whistleblower-Richtlinie im Amtsblatt der Europäischen Union am 26. November 2019 hatten die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, die Bestimmungen der Whistleblower-Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Eine Umsetzung ist in Deutschland bislang jedoch nicht erfolgt.
Da europäische Richtlinien nicht unmittelbar gegenüber privatwirtschaftlichen Unternehmen gelten, gibt es für privatwirtschaftliche Unternehmen derzeit noch keine gesetzliche Verpflichtung zur Einrichtung von Hinweisgebersystemen.
Aufgrund der bereits überfälligen Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie in nationales Recht sollten sich betroffene Unternehmen jedoch zeitnah mit den wesentlichen Anforderungen von Hinweisgebersystemen befassen, da der Aufbau des Systems konzeptionell durchdacht sein sollte. Dies gilt jedenfalls für Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern. Für kleinere Unternehmen ab 50 Mitarbeitern sieht die Whistleblower-Richtlinie eine Frist zur Einführung der Meldestellen bis zum 17. Dezember 2023 vor.