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B4BSCHWABEN.de: Herr Lachenmayr, der ESM steht im Ruf, maßgeblich die Staatsschuldenkrise vor zehn Jahren bewältigt zu haben. Aber was verbirgt sich genau hinter dem Mechanismus?
Peter Lachenmayr: Der Europäische Stabilitätsmechanismus ist in der Tat ein Kind der Staatsschuldenkrise in Europa, die der Finanzkrise Ende des vergangenen Jahrzehnts folgte. Der ESM ist Bestandteil des „Euro-Rettungsschirms“, der mit Krediten und Bürgschaften überschuldete Eurostaaten unterstützte und dies auch immer noch tut. Jeder Mitgliedstaat, der bisher Hilfe durch den ESM erhielt, musste hierbei ein makroökonomisches Anpassungsprogramm umsetzen sowie eine Analyse über die Nachhaltigkeit seiner Staatsschuldensituation durchführen. Die Ratifizierung sieht vor, dass kein Land für eine höhere Haftung des Rettungsschirms herangezogen werden kann als ursprünglich vereinbart. Für Deutschland waren dies immerhin aber immer noch maximal 190 Milliarden Euro von den insgesamt rund 700 Milliarden Euro Stammkapital. Neu am ESM im Vergleich zu anderen Instrumenten der EU war aber, dass sich der ESM selber am Kapitalmarkt refinanzieren, also selber Schulden aufnehmen konnte. Zudem hat der ESM auch die Möglichkeit, Mittel zur Stabilisierung von Banken in den einzelnen Mitgliedstaaten bereit zu stellen, wie dies beispielsweise seinerzeit in Spanien geschah.
Für diese Bewertung müssen wir die Regelungen und weiteren Maßnahmen rund um den ESM insgesamt in den Blick nehmen, mit denen die Staatsschuldenkrise seit circa 2011 im Euro-Raum bekämpft wurde. Der ESM war hierbei ein wesentlicher Baustein: Wenn wir an die Situation in Griechenland und anderen Euro-Staaten vor 10 Jahren zurückdenken, können wir dem ESM trotz anfänglicher Widerstände und Kritik von vielen Seiten – auch von deutscher – in der Rückschau konstatieren, dass er erfolgreich zur Stabilisierung des Euro-Raums beigetragen hat. Nicht nur die überschuldeten Staaten in Südeuropa und die dortigen Banken, die deren Schuldtitel in den Büchern hatten, sondern auch der gesamte Euro-Währungsraum und letztlich die EU konnten sich mit dem ESM und anderen Maßnahmen wieder stabilisieren. International konnten wir so wieder Vertrauen in den Euro und letztlich in die EU aufbauen. Wir vergessen heute oft, dass wir damals über den Austritt – manche verlangten auch einen Rauswurf – von Euroländern aus der Währung gesprochen haben. Was das für die Europäische Union bedeutet hätte, ist schwierig zu prognostizieren. Eine erhebliche Schwächung der Union und ihrer Souveränität und Autonomie wäre aber wahrscheinlich gewesen. Auch ein Auseinanderfallen der Euro-Zone in einen Nord- und einen Süd-Euro, wie es unter anderem seinerzeit mal diskutiert worden war, hätte die gesamte Währung wahrscheinlich in Frage gestellt.
Ein stabiler Euro liegt aber auch in besonderem Interesse, wenn wir an die starke Exportregion Schwaben denken…
Völlig richtig. Der ESM unterstützt gerade die exportstarke deutsche Wirtschaft, die ungefähr ein Drittel ihrer Waren und Dienstleistungen in die anderen Eurostaaten exportiert und mit der Gemeinschaftswährung unter anderem Wechselkursschwankungen vermeiden kann. Aber: Die Staatsschuldenkrise im Euro-Raum wurde nicht nur mit dem ESM bekämpft, sondern letztlich auch mit der Geldpolitik der EZB. So begann zeitgleich zur Errichtung des ESM die lange Phase der Niedrig- und zuletzt sogar Negativzinsen der Europäischen Zentralbank. Verbunden war diese expansive Geldpolitik durch massive Anleihekäufe und Stützungsmaßnahmen durch die Zentralbanken des Euro-Systems, einem Thema, mit dem sich auch häufiger das Bundesverfassungsgericht wegen des Vorwurfs, dass die EZB zur Staatsfinanzierung beitrage, befasste. Ungeachtet dessen, wie man dies beurteilt, ist auf jeden Fall festzuhalten, dass mit dieser Politik der EZB ein bis dato in den Euro-Ländern noch nicht gekanntes extrem niedriges Zinsniveau verbunden war. Die Mitgliedstaaten konnten sich genauso günstig refinanzieren wie vor allem international tätige Banken.
Mit den Einlagen bei uns, die für uns das Mittel zur Vergabe von Krediten sind, konnten unsere Kunden in den vergangenen Jahren kaum oder gar keine Rendite mehr erzielen. Der klassische „Sparer“ litt so unter den historisch niedrigen Zinsen genauso wie wir Banken, die wir für unsere Einlagen bei der Zentralbank Negativzinsen zahlen mussten. Wir haben uns daher stärker darauf fokussiert, unsere Kunden bei Alternativen zum Vermögensaufbau wie beispielsweise der Anlage in Fonds und Sparplänen zu beraten. Aber andererseits hatten wir auch über Jahre hinweg historisch niedrige Baufinanzierungszinsen, die trotz stark gestiegener Immobilienpreise vielen Kunden die Chance zum Erwerb eigenen Wohnraums ermöglichte. Wegen der in Deutschland langen Zinsbindung profitieren diese oft noch über die nächsten Jahre von den niedrigen Zinsen – das kennt man in vielen Ländern der EU nicht. Dort herrschen variable Verzinsungen vor, die die Kunden nun entsprechend treffen. Das sollte man auch einmal betonen, wenn in Deutschland Politik und Verbraucherschützer über Banken schimpfen.
Gehen wir von „Sparern“ zu Unternehmern. Bringt der ESM dem regionalen Mittelstand einen greifbaren Nutzen?
Der ESM und die anderen Stabilitätsmaßnahmen einschließlich der Währungspolitik haben vielen Unternehmen in der Euro-Zone oft eher indirekt lange stabile Preise und Wachstum sowie günstige Mittel für kreditfinanzierte Investitionen ermöglicht. Die Phase der expansiven Geldpolitik endete aber im vergangenen Frühjahr 2022. Das Ende ging einher mit einer rasant ansteigenden Inflation auf Werte, die wir zuletzt in den 1950iger Jahren hatten. Nachdem die EZB lange, oder besser: zu lange, gezögert hatte, ihre expansive Geld- und Niedrigzinspolitik zu ändern, erhöhte sie seitdem die Zinsen in großen Schritten, um die Inflation in den Griff zu bekommen. Ursache für letztere waren auch die geopolitischen Verschiebungen und der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, die vor allem die Energiepreise nach oben schnellen ließen. Diese Folgen betreffen die Konjunktur und unsere Volkswirtschaft insgesamt. Aber die damit verbundenen Auswirkungen sehen wir auch in der Region: Die Investitionsbereitschaft der verunsicherten Kunden und Unternehmen ist gedämpft, konjunkturelle Eintrübungen machen sich überall bemerkbar. Wir müssen abwarten, wie die zahlreichen staatlichen Stützungspakete hier Linderung verschaffen. Erste Anzeichen, dass die Konjunktur sich nicht so stark eintrübt wie befürchtet, sind ja schon erkennbar. Hoffen wir, dass weitere Lichtblicke zu sehen sein werden.
Wenn wir beispielsweise an die Griechenlandkrise und Verwerfungen in anderen Euro-Staaten und die politischen Verspannungen in Europa oder die langen Brüsseler Verhandlungsnächte zurückdenken, hatten der ESM und die anderen Stabilisierungsmaßnahmen insgesamt positive Auswirkungen, vor allem europapolitisch betrachtet. Gerade in Zeiten wie den aktuellen mit ihren geopolitischen Verschiebungen ist eine starke und souveräne Europäische Union für uns alle hier in Deutschland wichtiger denn je. Wäre dieses Konstrukt vor 10 Jahren auseinandergebrochen, stünden wir, auch in Deutschland, in der aktuellen Lage sicherheitspolitisch und ökonomisch wahrscheinlich wesentlich geschwächter und ohne Einfluss gegenüber anderen großen Volkswirtschaften da. Der ESM war somit auch ein Beitrag zu einer souveränen und autonomen EU.
Gibt es trotzdem auch Nachbesserungsbedarf?
Auch wenn wir die Staatsschuldenkrise hinter uns gelassen haben, sind die Staatsschulden in der EU und der Euro-Zone nach wie vor massiv hoch und durch Konjunkturpakete während der Corona-Pandemie und nun durch die Entlastungspakete vielfach sogar noch gestiegen, auch in Deutschland. Wir müssen hier aber wieder zu den Grundsätzen des Stabilitäts- und Wachstumspakts zurückkehren, also zu ausgeglichenen Staatshaushalten sowie zur Begrenzung der öffentlichen Verschuldung. Nur sechs der 20 Euro-Staaten halten aktuell die im Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgesehene Schuldengrenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ein und nur neun Euro-Länder haben ein Haushaltsdefizit von weniger als 3 Prozent des BIPs. Hier müssen wir wieder strengere Haushaltsdisziplin üben, sonst stehen die nachfolgenden Generationen vor wahrscheinlich unüberwindbaren Herausforderungen. Wir müssen zudem schauen, wie wir die vor uns liegenden Transformationen im digitalen und klimapolitischen Bereich finanziell stemmen.
Wir Banken sind hier Teil der Transformation – und dies sind wir auch gerne. Aber man muss uns auch den notwendigen Spielraum lassen. Der antizyklische Kapitalpuffer und der Systemrisikopuffer im Immobilienbereich, die wir nach den Vorgaben der BaFin im kommenden Monat einführen müssen, werden wieder zusätzlich Eigenkapital binden und Zugang zu Krediten reduzieren. Wir sind für stabile Banken und eine anständige Risikovorsorge, wir sind aber nicht für Maßnahmen, die mit der Gießkanne über alle Institute ausgeschüttet werden, ohne die entsprechende Proportionalität und die Geschäftsmodelle zu berücksichtigen.
Als Banker sind Sie Währungsexperten. Nun ist der Euro insgesamt – auch wegen des ESM – stabil. Anders sieht es mit Nachbarwährungen, wie Rubel oder Lira aus. Wird diese Unsicherheit unserer Region schaden?
Zunächst einmal ist dies ein Thema für solche Banken, die in diesen Währungsräumen aktiv sind, mit Krediten oder für ihre Kunden. Dies dürfte jedoch nur eine überschaubare Zahl von deutschen Banken betreffen. Dies gilt erst recht in Bezug auf Russland, weil sich hier viele Unternehmen und auch Banken seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine zurückgezogen haben. Aber gerade die mit diesem Krieg verbundenen geopolitischen Verschiebungen haben natürlich Implikationen, die über die Stabilität einzelner Währungen hinausgehen und daher viele Banken, aber auch zahlreiche Unternehmen und Kunden betreffen. Die daraus resultierenden Risiken müssen wir als Banken entsprechend managen, damit die Stabilität unseres Finanzsystems gewährleistet werden kann.